Willkommen bei Kraichgauer Ortsgeschichten

Herzlich willkommen auf meinem Blog 'kraichgauer-ortsgeschichten.de'! Hier finden Sie Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten rund um die Dörfer im nordwestlichen Kraichgau. Entdecken Sie mit mir die historischen Ereignisse, die diese Region so einzigartig machen. Ich denke, dass es dem einen oder anderen Leser Spaß macht, mit mir auf diese Spurensuche zu gehen.

 

Nordwestlicher Kraichgau - hier Malschenberg im Sommer 2024 am Nordhang des Letzenbergs (Foto: Albin Herrmann)

Vorbemerkungen:

In meinem Blog beschreibe ich längst vergangene Geschichten aus dem nordwestlichen Kraichgau, das heißt über Geschehnisse im 18. und 19. Jahrhundert in den Dörfern rund um Wiesloch, namentlich Malsch, Malschenberg und Rauenberg. 

Eine besondere Schwierigkeit für mich bestand darin, die alte Kurrentschrift zu lesen und zu verstehen. "Kurrent" darf nicht verwechselt werden mit der Sütterlin-Schrift, denn diese wurde von dem Grafiker Ludwig Sütterlin (1865 - 1917) entwickelt und erstmals 1915 in Preußen eingeführt, während sich die von mir beschriebenen Geschehnisse 100 Jahre früher und noch weiter zurück abspielten. Ich musste mich also erst mit der im Mittelalter entwickelten Kurrentschrift, so gut es eben ging, "anfreunden".

Eine noch größere Herausforderung für mich war, dass die "Schreiberlinge" vor 200 Jahren ihre eigene Interpretation der einzelnen Buchstaben und Wörter hatten. Das heißt, nahezu jeder ließ bei der handschriftlichen Gestaltung der Texte und Buchstaben seiner künstlerischen Phantasie freien Lauf, so dass ich mit der Entzifferung mitunter viel Zeit verbringen musste. Eine weitere "Lese-Hürde" ergab sich dadurch, dass die mit der Abfassung von Schriftsätzen oftmals überforderten "Supplicanten" (Bittsteller) sich eines Anwalts bedienten, der sich wiederum darin gefiel, in seinen Vorlagen an die Behörden viele lateinische Ausdrücke einzubauen. 

Hinzu kommt, dass in jenen Zeiten Wörter, Redewendungen, Berufe und behördliche Einrichtungen verwendet wurden, die heute aus unserem Alltag gänzlich verschwunden sind. Wer weiß denn heute noch, was "Beständer", "Ausfauth", "Keller" oder "Gegenschreiber" bedeutete? Der "Beständer" war der Pächter von herrschaftlichen Gütern, Feldern, Höfen oder Mühlen. Der "Ausfauth" war ein vom Fürstbischof für das Vormundschaftswesen eingesetzter Beamter, der "Keller" war der Vorsteher der fürstbischöflichen Kellerei, eine Behörde, die mit der Einziehung von Steuern und Abgaben beauftragt war. Wenn man so will: Das Finanzamt von heute. Eine solche Kellerei gab es rund um Wiesloch in den Orten Rotenberg und Kislau (Mingolsheim). Und was den "Gegenschreiber" angeht: Er musste von Amts wegen Rechnungen auf ihre Richtigkeit und Begründetheit überprüfen.

Trotz dieser "Hürden" machte (und macht) es mir letztlich Freude, die Geschehnisse vor 200 und mehr Jahren im Lichte der heutigen Zeit zu betrachten. In diesem Sinne wünsche ich den Leserinnen und Lesern dieses Blogs bei meinen Kraichgauer Ortsgeschichten ebenso viel Spaß und Kurzweil.

Albin Herrmann

 

 

Zum Inhalt: 

Folgende Ortsgeschichten habe ich nachstehend aufbereitet:

1) Vor 200 Jahren: Als Malschenberg selbstständig wurde

2) Streit um die Nutzung der Allmendwiesen

3) Die Sankt Wendelin-Kapelle

4) Von Schildwirten und Straußwirten in Malschenberg

5) Strenge Visitation bei Pfarrer und Schulmeister

6) Preußische Soldaten im Schloss zu Rauenberg

7) Streit mit dem Fürstbischof wegen Weiderecht

8) Vor über 250 Jahren: Auswanderungen nach Französisch-Guyana

9) Das Gasthaus "Zum Engel" in Rauenberg

10) Neuer gemeinsamer Kirchhof für Malsch und Malschenberg

11) Der Wald auf dem Letzenberg

12) Ein Schulhaus für Malschenberg

13) Die Mühle zu Rauenberg

14) Das "Neid'sche Haus" zu Rauenberg als Amtsschreiberwohnung

15) Ein "Capellan" für Rauenberg

16) Eine neue Mauer für den Rauenberger Schlossgarten

17) Ein Frühmesser in Rauenberg

18) Ein Pfarrer wurde strafversetzt

19) Vor 250 Jahren: Die strengen Regeln für Sonn-und Feiertage

20) Als der Teilort Balzfeld selbstständig werden wollte

21) Die Versteigerung des Schafhauses und ein betrunkener Bieter

22) Von Kapellen, Feldkreuzen und Bildstöcken

23) Die alte Kirche zu Rauenberg

24) Als sich Rauenberg der Kraichgau-Ritterschaft widersetzte

25) Die Synagoge von Malsch

26) Als der Fürstbischof den Rauenbergern die Bruchwiesen übereignete

27) Der staatliche Eisenbahnbau auf Rauenberger Gemarkung

28) Eine Kuppeljagd, die aus dem Ruder lief

 

1) Vor 200 Jahren: Als Malschenberg selbstständig wurde

Im Jahr 1824 trennte sich Malschenberg von Malsch

 

59 Malschenberger Bürger erteilen dem Advokaten Vollmacht zu den Trennungsverhandlungen (Repro: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sig 229/63865, Bild 148)

Erste Seite der Haupturkunde (Repro: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sig. 229/63882, Bild 1)

Letzte Seite der Haupturkunde (Repro: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sig. 229/63882, Bild 22)

Darstellung Malsch/Malschenberg (jeweils mit einer Kirche angedeutet)

aus einem Gemarkungsplan von 1801

(Repro:  Generallandesarchiv Karlsruhe)

Jahrhundertelang bzw. seit dem Mittelalter war Malschenberg ein unselbständiger Ortsteil der Gemeinde Malsch. Urkundlich erwähnt wird Malschenberg erstmals im Jahr 1296. In einer „Gültverschreibung“ eines Ehepaares von Malsch werden die „Höfe am Bletzenberg“ genannt. Weiter ist überliefert, dass in den Jahren danach 19 Bürger aus Malsch auf der Nordseite des Letzenbergs eine Siedlung gründeten. Es besteht kaum Zweifel, dass dies die Anfänge des Weilers „Malsch vor dem Berg“ waren. Warum sich einige Malscher damals nach einer neuen Bleibe umsahen, kann nur vermutet werden. Wohl war es so, dass die auf der Südseite des Letzenbergs (Gemarkung Malsch) verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen für alle Bauern nicht mehr ausreichten.

In den folgenden Jahrhunderten wurde die Unzufriedenheit der Einwohner von diesem "Malsch vor dem Berg"  immer größer, weil sie sich von dem Hauptort Malsch gegängelt und übervorteilt fühlten. Insbesondere die ihnen auferlegten Pflichten wie Steuern, Umlagen, Abgaben, Nutzung der gemeinschaftlichen Allmendwiesen, Sig.  und Frondienste gegenüber der „Muttergemeinde“ drückten die Malschenberger, so dass sich immer mehr der Wunsch nach Selbstständigkeit verdichtete.

Bereits im Jahr 1797 wurde ein entsprechender Antrag an das (damals noch) zuständige „fürstbischöfliche Amt Rothenberg“ gestellt. Im April 1802 beauftragten die Malschenberger einen „Hofrath“ mit der Vertretung ihrer Interessen:

„Wir unterschriebenen Bürger samtlicher Gemeind Malschenberg erteilen dem Herrn Hofrath (Name) follmacht, dass er in unserem Namen die Vertrenung zwischen der Gemeind Malsch und Malschenberg fornemen möge.“

Unterschrieben wurde der Antrag von 59 Malschenberger Bürgern.

            

Ab 1806 (Gründung des Großherzogtums Baden) ergab sich für den Malschenberger Trennungswunsch die Zuständigkeit des „Großherzoglich Badischen Bezirksamtes Wiesloch“. In der Folgezeit erfolgte ein reger Briefwechsel der Malschenberger mit diesem Amt, wobei die Trennung der beiden Gemeinden naturgemäß vor allem von den Malschenbergern, und zwar mit großer Vehemenz, betrieben wurde.

Erst im Jahr 1820 einigte man sich auf die Regelung der künftigen Gemeindegrenzen. Nach einer Notiz des Großherzoglich Badischen Bezirksamtes Wiesloch vom 27. April 1820…

„…zur Trennung der Orte Malsch und Malschenberg und zur Beschreibung der Gemarkungsgrenzen beider Orte wird festgestellt, dass die Pläne des Geometers Fischer aus Rauenberg über die zu ziehenden Gemarkungsgrenzen von beiden Gemeinden akzeptiert werden.“ 

Die Vereinbarung über die Grenzregelung wurde von den Vögten Roesch aus Malsch und Oestringer aus Malschenberg als Ortsvorgesetzten, von mehreren „Gerichtsleuthen“ und „Deputierten“ aus beiden Gemeinden sowie vom Geometer Fischer aus Rauenberg unterzeichnet.

Hierbei ist anzumerken, dass Ämter wie die des Vogts - vergleichbar dem heutigen Bürgermeister - und der Gerichtsmitglieder - entspricht analog modernen Gemeinderäten - grundsätzlich nur selbstständigen Gemeinden zustanden. Dass Malschenberg vor der endgültigen Separierung bereits über solch „öffentliches Personal“ verfügte, ist wohl damit zu erklären, dass das Großherzogliche Ministerium des Innern am 26. August 1812 den nachgeordneten Behörden grünes Licht für die Einleitung des Trennungsverfahrens Malsch/Malschenberg gab.

Mit Blick auf dieses Plazet verpflichtete das Großherzogliche Badische Bezirksamt Wiesloch am 21. Mai 1813 für den Ortsteil Malschenberg ein dreiköpfiges Gremium (Ortsgericht) - bestehend aus dem Vogt Josef Anton Oestringer, Joseph Becker und Johann Adam Müller - zur Durchführung der umfangreichen Trennungsverhandlungen mit der Gemeinde Malsch. 

Im Jahr 1824 war es dann endgültig soweit: Die offizielle Trennung der beiden Gemeinden und damit die Anerkennung von Malschenberg als selbständige Gemeinde erfolgte mit Urkunde vom 13.Mai 1824. Die Urkunde nennt sich „Haupt-Urkunde“ und trägt den Titel: „Die Trennung der zwischen Malsch und Malschenberg bestehenden Gemeinschaft in zwei Gemeinden“.

Die Urkunde umfasst mehr als 160 Seiten. Auf der letzten (gesiegelten) Seite heißt es unter anderem sinngemäß: 

„Man versammelte heute die Ortsvorstände und Deputierten von Malsch und Malschenberg, welche nach Vortrag der ausgefertigten und vorgetragenen Hauptabteilungsurkunde einstimmig erklärten, dass diese nach den einzelnen bereits anerkannten Teilungs-und Vergleichspunkten richtig abgefasst sei. Sie bestätigten ihre Zufriedenheit und Anerkenntnis mit den Verhandlungen durch ihre Unterschriften unter dieser Haupturkunde.“

Unterschrieben wurde die Urkunde vom „Malscher Vorstand“ (7 Bürger) und „Malschenberger Vorstand“ (5 Bürger).

Die Trennungsurkunde wurde zwei Wochen später vom Großherzoglichen Oberamtmann in Wiesloch unter der Vorgangsnummer 4717 wie folgt bestätigt:

„Nach vorgängiger Prüfung richtig befunden und amtlich bestätigt.“

Wiesloch, den 29. Mai 1824

Großherzoglich Badisches Amt (Unterschrift: Gerber, Oberamtmann)

Die gegenseitige Kostenverrechnung wurde auf einem besonderen Blatt der Urkunde mit der Überschrift „Endabrechnung zwischen Malsch und Malschenberg“ akribisch begründet und aufgeschlüsselt.  So stellte die Gemeinde Malsch an die zukünftige Gemeinde Malschenberg Ausgleichsforderungen von insgesamt 2.435 Gulden.                                              

Die neue Gemeinde Malschenberg forderte ihrerseits von der Gegenseite 1.178 Gulden, so dass noch eine Nachzahlung zu Lasten von Malschenberg von 1.257 Gulden bestand. Es ist schwierig, diesen Wert in heutiger Währung auszudrücken, weil eben das Warenangebot und die Preis-und Lohnverhältnisse von damals mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar sind. Gleichwohl gibt es Hinweise, wonach der damalige großherzoglich-badische Gulden heute einen Wert von etwa 10-15 Euro hätte, was Malschenberg also zu einer Restzahlung von etwa 13.000 bis 18.000 Euro verpflichtete.

Somit wurde die Loslösung von Malsch – wie oben beschrieben – erst Jahrzehnte nach der ersten Antragstellung rechtskräftig. Freilich dauerte die Selbstständigkeit nur 148 Jahre, denn am 1.April 1972 erfolgte im Zuge der allgemeinen Gemeindereform die Eingemeindung von Malschenberg in die Stadt Rauenberg. Die angebotene erneute Fusion mit der Gemeinde Malsch hatten die Malschenberger damals abgelehnt.

 

Quellen: Generallandesarchiv Karlsruhe, Findbuch 229 Nr.63865 bis 63882 und 229 Nr. 63888

 

Erstelle deine eigene Website mit Webador